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Katastrophen und Kriege – was dürfen Bilder zeigen?

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Club (SFR 1)

  • Heute, 22:25 Uhr

Entstellte Körper, Soldaten mit Puppen, Leichenteile. Der Flugzeugabschuss über der Ukraine schockierte die Menschen - die Bilder der Katastrophe ebenso. Welche sind voyeuristisch und verletzend? Sensationslust, Informationspflicht und Menschenwürde stehen auf dem Prüfstand – auch im «Medienclub».

Die Bilder vom Ort des Grauens gingen um die Welt. Auf der Webseite der renommierten Fotoagentur Magnum sind einige von ihnen immer noch zu sehen: Zwischen rauchenden Trümmerteilen liegen entstellte Körper, ein abgerissener Fuss, ein im Sitz angeschnallter Toter. Einige Medien haben besonders krasse Darstellungen gezeigt. Andere entschieden sich für distanziertere Bilder. Die «Schweizer Illustrierte» und der «Sonntagsblick» haben mit ihrer Auswahl heftige Reaktionen ausgelöst. Und auf Twitter entfachte der Journalist Christof Moser mit einem Foto aus Trümmer- und Leichenteilen auch in den Sozialen Medien eine emotionale Debatte.

Was dürfen, was müssen Bilder zeigen? Welche verletzen die Würde der Opfer und ihrer Angehörigen? Wie schonungslos soll Aufklärung sein? Wann ist sie sensationslüstern und respektlos? «Boulevardmedien zeigen definitionsgemäss härtere Bilder als Qualitätsmedien», sagt SI-Chef Stefan Regez. Die Güterabwägung finde bei jedem Bild neu statt, betonen jedoch Fotografen und Chefredaktoren, Journalisten und Kameraleute einhellig.

Im «Medienclub» mit Karin Frei diskutieren einige von ihnen über die sensiblen Fragen im Umgang mit Katastrophenbildern:

Stefan Regez, Chefredaktor «Schweizer Illustrierte»
Christof Moser, Journalist «Schweiz am Sonntag»
Reto Camenisch, Fotograf, Studienleiter Redaktionelle Fotografie MAZ
Dominic Nahr, Kriegsfotograf
Gregor Sonderegger, stv. Nachrichtenchef SRF
Corine Turrini Flury, Social-Media-Nutzerin, Journalistin

Positionen der Gäste

Stefan Regez: «Unser starkes Bild des Absturzes, das einen Toten noch angeschnallt im Sitz zeigt, hat zu wüsten Protesten unserer Abonnenten geführt. Wir haben dieses Bild als Symbolbild des Grauens bewusst ausgewählt. Mit dem Vorwurf, wir seien sensationslüstern, muss ich leben können. Boulevardmedien pflegen einen anderen Umgang mit Bildern.»

Christof Moser: «Ich bin für einen radikaleren Umgang mit Bildern von Kriegsopfern in den Medien als dies heute im Allgemeinen der Fall ist. Im Zeitalter der ungefilterten Informations- und Bilderflut in den Social Media, der zunehmend visuellen Informationsvermittlung in den Medien und der allgegenwärtigen Unterhaltungsgewalt in unserer Gesellschaft müssen Journalisten wieder neu über Kriegsbilder und ihre Wirkung nachdenken.»

Reto Camenisch: «Es geht nicht nur darum, am richtigen Ort, das richtige Bild zu schiessen. Sondern auch darum, wer das Bild wo und wann konsumiert. Diese Verantwortung trägt auch der Fotograf und nicht nur jene, welche die Bilder publizieren.»

Dominc Nahr: «Wenn ich als Kriegsfotograf unterwegs bin, bin ich mit technischen Aspekten wie Fokus und Komposition beschäftigt. Vor allem aber bin ich in jenem Moment um meine eigene Sicherheit besorgt. Es wird geschossen, es könnten Tretminen da sein. Vor Ort ist der Stress zu gross, um hin und her zu überlegen, ob ich nun abdrücken soll oder nicht. Ich mache das Bild. Ob es an die Öffentlichkeit gelangt, überlege ich mir bei der Verarbeitung.»

Gregor Sonderegger: «Bei expliziten Gewaltdarstellungen, schockierenden Bildern oder Bildern von sterbenden oder toten Menschen sind wir bei SRF äusserst zurückhaltend und stellen uns immer zuerst die Frage, ob diese Bilder wirklich relevant für die Story sind und wie diese Bilder auf Angehörige oder Zuschauerinnen und Zuschauer wirken könnten.»

Corine Turrini Flury: «Als Social-Media Nutzerin hat mich das Bild auf Twitter von Christof Moser entsetzt. Ich will nicht, dass mir jemand ohne Vorwarnung Bilder von verstümmelten Menschen und Toten in die Timeline spült. Meine Haltung ist klar: Ich will weder meine Liebsten noch mich je auf einem solchen Bild im Netz sehen.»

Dominic Nahr